»Eine aufreibende und aufregende Erfahrung« – Christoph Morlinghaus im Gespräch

In den ersten 20 »Superlative – Made in Germany« stecken 8.136 Kilometer kreuz und quer durch Deutschland, 214 belichtete 8×10“ Farbnegativfilme, 8 Wochen Fotografie, ungezählte Arbeitsstunden von 5 Menschen und noch einiges mehr. Wir haben Christoph Morlinghaus, den Superlative-Fotografen, zu seinen Erfahrungen befragt:

Christoph, die ersten 20 »Superlative – Made in Germany« sind fotografiert. Hattest Du Dir vor Beginn der Reise durch Deutschland vorgestellt, dass Du die erste Phase mit so vielen großartigen Erfahrungen und Bildern abschließen würdest?
Ganz ehrlich? Ich dachte schon, dass das gut werden würde. Wir, also Edda Fahrenhorst von fotogloria und ich, hatten ja vorher schon lange nach tollen Superlativen gesucht und auch eine lange Liste zusammengestellt. Aber wenn dann die Motive – die Du Dir vorher nur erhofft und erträumt hast – real werden, dann ist das schon großartig. Und natürlich erlebt man auf einer zweimonatigen Reise durch Deutschland auch so allerhand… Also alles in allem: Meine ohnehin schon hohen Erwartungen wurden tatsächlich noch übertroffen.

Was war denn die größte Herausforderung während Deiner Reise?
Nicht wahnsinnig zu werden! Das war eine aufreibende und aufregende Erfahrung. Alleine was es heißt, die etwa 110 Kilo Equipment immer wieder durch die Gegend zu schleppen – ok, das habe ich nicht alleine gemacht, sondern hatte Hilfe von meinem Assistenten Raphael Janzer – aber schon die Logistik, immer alles sortiert, griffbereit und einsetzbar zu halten… Dann immer wieder viele Stunden im Auto, gerne auch mal nachts oder in Staus. Und wo wir schon bei der Nacht sind: Es gab Shootings, die konnten nur mitten in der Nacht stattfinden, wie etwa das im Casino Baden-Baden, wo wir nur nach dem normalen Spielbetrieb rein durften, aber vor den Touristen-Rundgängen wieder raus mussten. Dann der ständige Bettenwechsel: Wir haben uns durch Deutschlands Billigpensionen geschlafen und gegessen, das war teilweise schon sehr speziell. Wirklich hart war auch das Freibier auf dem Oktoberfest…

Im Ernst: Wirklich herausfordernd für mich war es dabei mein kindliches Staunen und die Neugierde für jede neue Location zu bewahren und natürlich die ganze Zeit die Konzentration für die Fotos aufrecht zu erhalten. Ich habe ganz am Anfang ein wirklich, wirklich gutes Bild in den Hallen von Airbus fast verpasst, weil ich vor lauter Aufregung vergessen hatte, den Schieber für die Belichtung zu ziehen, das war ganz unangenehm. Es galt also, trotz dieses überwältigenden Projektes im Rücken, eine Professionalität herzustellen, die es mir erlaubte, gute Bilder zu machen.

Christoph Morlinghaus fotografiert in der Helios-Klinik in Hamburg

Christoph Morlinghaus fotografiert in der Helios-Endo-Klinik in Hamburg

Welcher Moment war denn der Atemberaubendste der Reise?
Ganz klar der größte Operationssaal Deutschlands in der Helios-Klinik in Hamburg. Wir durften im OP während der vielen und auch parallel laufenden Operationen dabei sein und fotografieren. Es war unglaublich für mich, all die Sinneseindrücke zu verarbeiten und in einem Bild umzusetzen: Es war laut, die Geräusche reichten von Bohrmaschinen bis zum Stimmengewirr der vielen verschiedenen Gespräche an den Tischen. Es roch streng nach Blut und angesengten Knochen. Dazu die lockere Stimmung derjenigen, die das alltäglich machen, plus dem eigentlichen archaischen Akt des Operierens, das aber wiederum mit höchster Präzision und in einer sehr modernen, hochtechnisierten Umgebung. Das alles zusammen war eine einzigartige Erfahrung.

Welcher Moment hat Dich Nerven gekostet?
In den Eingeweiden des Frankfurter Flughafens haben mich die Motive reihenweise angesprungen, aber die Zeit war sehr limitiert. Da musste ich, auf einem Geländer mich und die Kamera irgendwie balancierend, einfach einen frustrierten Urschrei von mir geben, der aber dankenswerterweise ungehört verhallte, da es in besagten Katakomben sehr laut war. Das ist immer das Schlimmste für mich: Wenn ich bei einer tollen Location fotografiere, aber dann Abstriche wegen Zeitdruck machen muss… Aber alles in allem sind ja trotzdem zwei gute Bilder entstanden.

Christoph Morlinghaus fotografiert die Gepäcklogistik des Frankfurter Flughafens

Christoph Morlinghaus fotografiert die Gepäcklogistik des Frankfurter Flughafens

Welche war die schönste Erfahrung der Reise?
Das alle Menschen, und zwar wirklich alle, die wir in den Unternehmen und Institutionen getroffen haben, sehr hilfsbereit, zuvorkommend, effektiv, positiv und einfach toll waren. Egal wo wir hingekommen sind, wurden wir mit offenen Armen empfangen und es haben sich über die Dauer der Zusammenarbeit immer ganz schnell regelrechte Teams gebildet: Etwa bei Hermes haben uns zwei Damen zwei Tage begleitet – wir waren ganz schnell beim Du, sie haben sofort mit angepackt, assisitiert, mitgedacht, sind einfach so mit ganzem Herzen in das Projekt eingetaucht. Das hat mich echt beeindruckt. Und sehr gefreut.

Gab es einen weiteren besonderen Moment?
Ja, den gab es in der Tat und zwar mitten in der Nacht in Emsbüren. Wir waren fertig mit den Fotos im größten Gewächshaus Deutschlands, mein Assistent Raphael war schon auf dem Heimweg und ich war ziemlich spät abends alleine unterwegs auf der Suche nach etwas Essbaren, allerdings ohne Erfolg. Ich habe dann mitten auf der Straße einen Mann angesprochen und ihn gefragt, ob er mir ein Restaurant, Imbiss, Kiosk, irgendwas sagen kann, das noch offen hat, aber der Mann verstand kein Wort deutsch und war ganz offensichtlich aus dem arabischen Raum. Ich habe es trotzdem irgendwie geschafft, mich verständlich zu machen und er hat mir bedeutet, ihm zu folgen und ist dann mit dem Fahrrad etwa zehn Minuten vor mir und meinem Auto durch die Nacht gefahren und hat mich zu dem einzigen noch offenen Laden im Ort, der überhaupt noch Nahrung angeboten hat, geführt. Das war wirklich besonders.

Nun zur eingesetzten Technik: Mit welchen Equipment hast Du fotografiert?
Die schwere Kamera ist die Sinar P2. Die leichte Fachkamera, wenn man mal irgendwo viele Treppen hochmusste, ist die Canham JMC 810. Als starkes Weitwinkel hatte ich das Sinaron W 155mm, als gemäßigtes Weitwinkel dass Schneider Super Symmar 110XL, als Standardobjektiv  das Sinaron SE 300 mm, als ganz leichtes Tele APO Sinaron 360 mm und als leichtes Tele das Nikkor M 450 mm mit. Dazu natürlich Stative, Sinar Adhäsie Filmkassetten 8×10“ und dazu den besten Film, auf dem ich je fotografiert habe: den Portra 400, 8×10“ von Kodak Alaris.

Christoph Morlinghaus fotografiert mit der Sinar P2.

Christoph Morlinghaus fotografiert mit der Sinar P2.

Wieso fotografierst Du analog und das auch noch mit einem vermeintlich fotografischen Dinosaurier?
Ich stelle mir meine Bilder immer als größten fotografischen Abzug auf 1,80 x 2,25 Metern vor. Da soll man aus vier Metern Entfernung draufschauen können, um das Ganze zu erfassen, man soll aber auch ganz dicht rangehen können und noch das kleinste Detail unverpixelt und scharf sehen können – das gehört für mich zu dem perfekten Bild dazu.

Und in meinen Bildern versuche ich immer die größtmögliche Perfektion zu erlangen, natürlich auch in technischer Hinsicht. Und die ist meiner Meinung nach nur mit der Fachkamera auf 8×10“ Film möglich. Das hat zwei Gründe: 1. Nur die Fachkamera hat die Möglichkeiten der extremen Verschiebung, so behalte ich die absolute Perspektivkontrolle ohne Verzerrung der Linien. 2. Diese extreme Verschiebung wird nur vom analogen Film entsprechend aufgefangen, das schafft kein digitaler Sensor.

Aber ich will gar nicht zu sehr auf technische Details eingehen. Am Besten erklären kann ich meine Arbeitsweise vielleicht mit einem Vergleich: Warum hört man sich ein Musikstück lieber in einer Philharmonie an, als aus einem Kofferradio? In einer Philharmonie erlebt man die Musik ganz anders – das Stück wird durch die besondere Akustik des Raumes aus viel mehr verschiedenen, wahrnehmbaren Klängen zusammen gesetzt, die für das geübte Ohr sogar einzeln erkennbar sind, die sich aber auch für das ungeübte Ohr zu einem viel volleren und detaillierterem, gemeinsam harmonierendem Klang zusammen setzen. Ein Konzert in einer Philharmonie hat also einen ganz anderen und viel höheren Anspruch daran, Qualität erlebbar zu machen.

Und so ist es doch in jeder Disziplin: Es gibt immer ein paar Leute, die sich ungeachtet aller Kosten und größter Mühen auf den Weg machen, das eigentlich Unmögliche zu erreichen – die Perfektion in Qualität und Ausführung. Und das ist es, was ich auch anstrebe – die größtmögliche Qualität in der Fotografie.

Christoph Morlinghaus im größten Kino Deutschlands, der Lichtburg in Essen.

Christoph Morlinghaus im größten Kino Deutschlands, der Lichtburg in Essen.

Und warum fotografierst Du ausschließlich mit vorhandenem Licht?
Weil es überall genug Licht gibt. Das beste Beispiel: Ich habe das größte Kino, die Lichtburg in Essen, fotografiert und wollte das unbedingt während der stockdunklen Vorstellung nur mit dem Licht der Projektion machen. Alles in allem habe ich letztlich dann etwa zwei Stunden lang belichtet und voilá, es gab mehr als genug Licht.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund, den ich fast wichtiger finde, auch wenn er sich etwas esoterisch anhört: Ich mag es sehr, Zeit zu fotografieren. Wenn ich zwei Stunden belichte, dann schaffe ich es, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – je nach zeitlichem Standpunkt – in einem Bild festzuhalten und zu zeigen. Etwas, das  nur in der Fotografie möglich ist.

Apropos Zeit, Deine Fotografie ist sehr zeitintensiv – bitte beschreibe, wie Du Dich Deinen Motiven näherst und was es dann heißt, ein Foto zu machen.
Bei der Motivsuche bin ich langsam, sehr langsam. Ich halte es da frei nach Michelangelo: Das Bild ist schon da, man muss es nur finden. Es gilt also, komplett in den Ort – was auch immer es für einer ist – einzutauchen, Perspektiven zu erforschen, Stimmungen und Schwingungen einzufangen, um dann DAS Motiv einzukreisen und zu entdecken. Das kann dauern. Das Foto zu machen ist dann vergleichsweise schnell, auch wenn die Kamera aufzubauen und einzurichten auch einen Moment dauert.

Christoph Morlinghaus im Casino Baden-Baden.

Christoph Morlinghaus im Casino Baden-Baden.

Hast Du ein Lieblingsbild?
Nein. Oder besser gesagt: Das wechselt jeden Tag, denn jedes Bild ist in meiner Erinnerung natürlich mit vielen verschiedenen Erinnerungen, Erfahrungen und Emotionen verknüpft. Natürlich ist das Bild aus dem OP immer sehr präsent. Aber ebenso die Bilder von der Meyer Werft, die schiere Größe der Hallen und Schiffe hat für mich eine unglaubliche Wucht. Oder das größte Gewächshaus mit den nahezu unendlichen Reihen an gleichförmigen Pflanzen. Oder natürlich die riesige und grob in die Natur eingreifende Fläche von Garzweiler. Genau genommen, ist mir von den 20 fotografierten Superlativen jedes Motiv und jedes Bild davon sehr nah.

2017 sollen viele weitere Superlative fotografiert werden – was wünschst Du Dir dafür?
Zeit, viel Zeit. Und dass ich wieder so viele freundliche und hilfsbereite Menschen treffe. Natürlich auch neue, überraschende Motive. Und ich hätte gar nichts dagegen, wenn aus all den Bildern irgendwann eine große Ausstellung und ein Bildband entstehen würden…

 

 

*Haben Sie auch ein spannendes Superlative? Melden Sie sich gerne bei uns unter: info@superlative-made-in-germany.de. Wenn Sie mögen, können Sie sich auch gerne bei unseren »Fragen und Antworten« umsehen. Wir sind gespannt auf Ihre Ideen.

**Der Superlative-Fotograf ist Christoph Morlinghaus, die Projektdokumentation ist von Raphael Janzer..